Montag, 28. Dezember 2009

Das Kleingedruckte

In der Dämmerung wachsen die Schatten zusammen. Differenzierte Gefühle verschmelzen zu einem lauwarmen Gefühl der Lebenserfahrung.
Im Gespräch mit Freunden destillieren sich auf Stichwortzuruf ganze Geschichten voll Klarheit und Handlung, welche nur an einem kleinen Grashalm des Gedächtnisses hängen.
Erschaut man eine Wiese, mag man sich am frischen Grün oder an der Üppigkeit des Lebensausdrucks erfreuen. Schwierig wird es allerdings sein, den eine Blume zu finden, an der zuletzt noch eine satte Hummel brummte.
Ein kleines Muster, der Hinweis auf die zu wählende Blickrichtung ermöglicht die spontane Erinnerung an vergangene Sommer, an vergangene Welten.
Auf diesen Seiten entsteht das Netzwerk meiner geistigen Erfahrungswelt. Sehr, sehr unvollständig, weder chronologisch noch im Kontext geordnet. Schwer nach zu vollziehen für andere Leser. Doch eine blühende Bergwiese wird von vielen Menschen geschätzt. Die wenigstens finden die Zeit, sich einen Nachmittag hinzusetzen und einfach den Anblick zu genießen.
Manche einzelne Blumen werden aber Eindruck machen und den weiteren Spazierweg mit angenehmen Gedanken erfüllen.

Es gibt hier keine Diskussionen. Vielleicht kommt es zu Ergänzungen, wenn bekannt wird, dass jemand anderer wiederholt an der Wiese vorbei kommt.

Der Hass des Künstlers

...
Und darum schleudere ich meinen Fluch auf die Kunst! Sie ist der Erbfeind meines Lebens. Sie hat sich über mich gesetzt und mich beraubt, zerstört, in zwei Hälften gespalten. Sie ist der Unmensch in mir. Sie ist das Unmenschliche im Leben. Menschlich ist die Lüge, aber meine Kunst will Wahrheit und immer wieder die Wahrheit. Und die Wahrheit ist oft häßlich und trostlos. Menschlich ist der Glaube, aber meine kunst bringt den Zweifel. Menschlich ist die Blindheit, aber meine Kunst steht über mir als die Kraft des Sehens und gestaltens, die furchbar ist. Ich habe nicht gewußt, daß die Gabe des Sehens etwas so Furchbares ist.
...
...
Meinen Haß aber behalte ich. Wer sonst wohl sollte die Kunst so tief hassen können, hassen müssen wie wir Künstler? Ihr Halbkünstler doch nicht? Ihr Liebhaber und Zufallskünstler? Ihr dürft sie lieben, denn ihr hab ja niemals an ihr gelitten. Aber darum gehört sie auch nicht zu euch. Denn nur die Dinge, an denen wir am tiefsten leiden - nur die gehören zu uns!



Ebenfalls Egon Fridell. Aus Der Haß des Künstlers.
Natürlich muss man den gesamten Text lesen oder zumindest mehr über den Autor wissen, um diese Stellen richtig einschätzen zu können. Aber vielleicht gibt es drei, vier Worte, die auch in dieser verkürzten Form an etwas Verborgenes rühren, einen Grübelprozess in Gang setzen. Zu leicht ist es, die Aussagen nicht wahr haben zu wollen.
Und wie groß ist doch der Unterschied zu John Keats "Beauty is truth, truth beauty. - that is all, Ye know on earth, and all ye need to know."

Güte und Intelligenz

...
In der Tat besteht ein bestimmtes Wechselverhältnis zwischen Güte und Intelligenz. Dies zeigt sich schon im Tierreich. Die intelligentesten Tiere - Elefanten und Hunde - sind auch die gutmütigsten, und die Bosheit des Affen ist mehr sprichwörtlich als wahr, denn sie ist nichts andres als Spieltrieb und Humor, eine Eigenschaft, die stets Güte voraussetzt. Und was die Menschen betrifft, so gibt es sicher eine bestimmte Stufe der Intelligenz, auf der es schlechthin nicht mehr möglich ist, anders als gut zu sein. Dabei darf man freilich nicht an Sentimentalität denken. Sentimentalität und Güte sind Gegensätze. Da hat niemand deutlicher bewiesen als Nietzsche.
Ebenso wie Intelligenz und Güte sind auch Dummheit und Bösartigkeit bis zu einem gewissen Grade korrespondierende Erscheinungen. Die sprichwörtliche Doppeleigenschaft "dumm und gutmütig" ist in der Empirie selten. Ausgesprochen dumme Menschen sind niemals wirklich gutmütig. Wie wäre das auch möglich? Sie sehen viel zu wenig Beziehungen, als daß sie liebevoll und gütig sein könnten. Sie sind zu blind und beschränkt, um das Recht im Unrecht zu erkennen und daher andern Menschen Geltung einzuräumen. Auch sind sie viel zu sehr damit beschäftigt, ihre eigene Dummheit möglichst ungefährdet durchs Leben zu lotsen, als daß sie die Zeit fänden, sich um andre zu bekümmern.

Auszug aus dem Essay Der Dichter von Egon Friedell, einem 1878 in Wien geborenen Theaterkritiker, Schauspieler, Dramaturg, Conférencier, Aphoristiker, Feuilletonist, Herausgeber, Übesetzer, Schriftsteller und Kulturhistoriker.
Als im Jahr 1938 zwei SA-Männer an seiner Wohnungstür klingelten, sprang der 60-jährige Friedell vom dritten Stock aus dem Fenster.

Am Ende des Tages

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